von Michael Lerchner

Vor einem Jahr haben wir im Päda eine große Benefizveranstaltung zugunsten unseres Vereins Hilfe für Menschen im Kongo e. V. mit einem großartigen Ergebnis durchgeführt (siehe Beitrag vom 21.9.2018). Ungefähr 11.000 Euro wurden damals gespendet. Dafür sind wir immer noch sehr dankbar!
Ich war nun im Juli das erste Mal (auf eigene Kosten) selbst vor Ort in unseren beiden Waisenhäusern, der Schule und dem neuen Gesundheitszentrum in der Nähe von Kinshasa. Wir haben mit den Kindern und Jugendlichen zwei Wochen lang Ferienspiele durchgeführt und ein Theaterstück einstudiert. Trotz schlimmer Schicksale und unbeschreiblicher Armut durfte ich unglaublich viel Dankbarkeit und Lebensfreude beim Trommeln, Tanzen, Spielen und Singen erleben.

Die zwei Theateraufführungen waren nationale Ereignisse. Sie wurden vor insgesamt ca. 250 Zuschauern nach dem Singen der Nationalhymne und dem Aufzug der kongolesischen Flagge aufgeführt. Von den täglichen Mühen war da nichts mehr zu spüren. Mit viel Engagement und Stolz wurde das selbstentwickelte Stück präsentiert. Der Jubel und die Freude danach über das Geleistete waren ohrenbetäubend.

Bis dahin war es allerdings auch aus anderen Gründen ein anstrengender Weg. Beinah jeden Tag fuhren wir in überfüllten Taxis (der Rekord lag bei 14 Erwachsenen in einem 7 Sitzer) die 80 km von Kinshasa nach Maluku und dann später auch wieder zurück. Eine Übernachtung irgendwo in der Nähe ist leider nicht zu finden. Nervig waren neben der Enge in den Autos die täglichen Staus in der abgasträchtigen Luft. In Kinshasa werden die Autos so lange gefahren, bis es nicht mehr geht und sie am Straßenrand stehen gelassen werden. Einen TÜV gibt es nicht. Gefühlt sind alle 12 Millionen Einwohner gleichzeitig auf und neben den Straßen unterwegs. Das Chaos ist vorprogrammiert, da die hochgerüstete Polizei selten regelnd eingreift. Oft schikanieren die Polizisten sogar die eigene Bevölkerung. Das krasseste Beispiel erlebten wir, als uns ein Polizist mit einer Kneifzange das Ventil an einem Rad abtrennte. Das passiert vor allem, wenn Weiße im Auto sitzen. Dadurch kann dann vielleicht das eigene spärliche Gehalt etwas aufgebessert werden. Rassendiskriminierung einmal umgekehrt! Die Kongolesen ertragen diese Schikanen und auch den allgegenwärtigen Schmutz mit einer erstaunlichen Ruhe. Dann wird das Rad eben lächelnd gewechselt. Eins mögen sie allerdings überhaupt nicht. In der Stadt wollen sie nicht ungefragt fotografiert werden. Daher konnten dort immer nur verdeckt Fotos aufgenommen werden. Wer Polizisten fotografiert, bekommt richtig Ärger.

Irgendwann kamen wir immer in Maluku an und wurden dann auch herzlich von den Kindern und Jugendlichen empfangen. Allerdings sind nicht alle fröhlich. Manche Kinder kommen schwer traumatisiert in unsere Häuser. Ausgebildete Traumaexperten gibt es nicht. Es ist der warmherzige und führsorgliche Umgang der Kinder untereinander, der nach Monaten dazu führt, dass sie dann plötzlich wieder lachen können und sich am Leben im Haus beteiligen.
Alle Kinder und Jugendlichen bekommen 2 Mahlzeiten am Tag. Damit sind sie gegenüber den meisten anderen Kindern aus den Dörfern privilegiert! Finanziert wird alles durch uns Paten in Europa.

An zwei Tagen sind wir in Kinshasa geblieben. Wir besuchten die City, die etwas von einer Großstadt hat. Wir wurden auch kurz vom deutschen Botschafter empfangen, da unsere Projekte mittlerweile auch in der Botschaft bekannt sind und mitunter auch unterstützt werden. Der Unterschied zwischen dem Botschaftsviertel und dem Rest der Stadt ist gewaltig. Alles sieht sehr europäisch, grün und gepflegt aus. Doch selbst dort sollten wir den wachhabenden Soldaten einen Wegezoll, nämlich Geld für Cola, geben. Das haben wir allerdings abgelehnt.

An dem zweiten freien Tag sind wir mit Motorradtaxis nach Kisenso gefahren. In diesem Slumviertel von Kinshasa haben wir unser erstes Waisenhaus gebaut. Die Fahrten zu dritt (aber auch mit 5 oder 6 Personen) auf einem kleinen Motorrad sind wirklich ein Abenteuer. Gekonnt steuern die Fahrer ihre Zweiräder über Stock und Stein, durch den Müll und die Menschenmengen. Feste Straßen gibt es nicht. Dort erlebten wir auch einen beeindruckenden Gottesdienst. Trotz der Armut und scheinbaren Hoffnungslosigkeit feiern die Menschen fröhlich und ausgelassen. Den dynamischen Trommelrhythmen konnten auch wir nicht widerstehen.
Noch drei besondere Erlebnisse möchte ich erwähnen. Während unseres Theaterstücks sollte ich auch Jodeln. Ein musikalisches Brüdertrio hat mich dabei ganz toll unterstützt. Es war irgendwie witzig, mitten in Afrika Jodelbeiträge wie in Oberbayern zu hören.
Am letzten Tag holte ich zusammen mit unserer FSJlerin Fedra eine junge Mutter mit einem Rollstuhl aus ihrer Hütte. Sie war so geschwächt, dass sie nicht mehr laufen konnte. So zogen wir sie 2 km durch den Sand bis in unser Hospital. Ohne diese Hilfe wäre sie vermutlich gestorben. Sie hatte viel Blut verloren.
Zu guter Letzt möchte ich noch ein Beispiel für die bizarren Gegensätze im Kongo beschreiben. Ungefähr 500 Meter von unserem Gelände mit Waisenhaus, Schule und Krankenhaus stehen einige schöne Gebäude malerisch am großen Kongofluss, darunter auch ein Gästehaus. Alles gehört Frau Kabila, der Witwe des verstorbenen langjährigen kongolesischen Präsidenten Joseph Kabila. Aus unbekannten Gründen stehen die Gebäude leer und werden nicht genutzt. In den ärmlichen Hütten ringsherum dagegen wird geliebt, gelebt und gestorben.

Nach 16 Tagen flogen wir wieder in das für die Kongolesen „gelobte Allemagne“. Der Abschied hat mich an Erlebnisse in der ehemaligen DDR erinnert. Wenn unsere Verwandten aus der Bundesrepublik wieder nach Hause fuhren, verschwanden sie für uns hinter der unsäglichen Grenze. Nun waren wir es, die für unsere kongolesischen Freunde hinter einem Vorhang verschwanden. Unerreichbar! Vielleicht bis zu den nächsten Sommerferien …
Diese Reise hat mir vor Augen geführt, wie ungerecht diese Welt ist und wie sagenhaft gut es uns in Deutschland und Europa geht.
Wer uns bei unserer Arbeit und damit auch der Bekämpfung von Fluchtursachen vor Ort unterstützen möchte, kann mich gerne ansprechen oder auf unserer Internetseite nachschauen: www.hilfe-im-kongo.de
Herzliche Grüße
Michael Lerchner
Erzieher im Haus Tannenberg